Immer wieder gut

Es ist immer wieder gut zu kommen. Sich aufzuraffen. Abends. Nach einem langen Tag. Ich könnte einfach zu Hause bleiben. Musik hören. Einen Film schauen. Oder herum liegen. Entspannen. Doch ich raffe mich auf und fahre nach Grünkraut. 

Wir haben dort keinen richtigen Tempel - auch kein richtiges Zen Zentrum. Nur einen Raum, der allerdings über eine angenehme Ausstrahlung verfügt. (Natürliche Trockenbauweise.) Wir haben auch keinen richtigen Altar, auf dem auch kein richtiger Buddha steht. Auf einem kleinen Vorsprung sitzt ein hölzerner Hotei mit einem gewaltigen Bauch und einem breiten Lachen im Gesicht. Wir haben uns an diesen Hotei gewöhnt. Ich verbeuge mich vor diesem Genussmenschen, als wäre es ein Buddha. Das spielt für mich keine Rolle. 

Ich komme immer etwas früher als die anderen, richte den Raum her - lege die Matten aus, hole die Kissen von oben, bereite alles vor. Und lüfte ordentlich. Dann  höre ich die ersten Autos vorfahren - ach, heute kommt doch jemand! 

Ich muss nicht alleine üben. Denn ich bin auch schon alleine  hier gesessen und habe geübt. Das war auf der einen Seite schade. Weil es doch eine seltene Gelegenheit ist. Auf der anderen Seite habe ich aber schnell vergessen, dass ich alleine war. Wenn du in die Übung einsteigst, in diese besondere formale Praxis, dann spielen Äußerlichkeiten bald keine Rolle mehr. Ich vergesse einfach, ob ich alleine oder mit zwei, vier, sechs oder fünfzig anderen Personen sitze. Wir sitzen gemeinsam - mit der ganzen Welt. 

Ich singe den Abendgesang, auf den ich mich jedesmal freue, und wir rezitieren gemeinsam drei Sutren - das Herzsutra auf Sino-koreanisch und auf Deutsch sowie die hymnische Große Dharani. Manchmal spreche ich dann noch ein paar Worte, die natürlich überflüssig sind, denn auf uns wartet etwas viel Größeres - die Stille. Und dann sitzen wir endlich - jeder und jede für sich und alle gemeinsam in der Stille, im Schweigen, das nur von den eigenen lauten Gedanken gestört wird. Aber auch das nicht wirklich. 

Unsere Übung ist auch deswegen eine formale Übung, weil wir unsere Formen dazu benutzen, unsere Gedanken - also unsere Emotionen, unsere Sorgen und Ängste, aber auch das ewige Geplapper -  in die Schranken zu weisen.

Wenn ich nach insgesamt 90 Minuten das Chugpi zum letzten Mal schlage und wir noch gemeinsam die 4 Großen Bodhisattva Gelöbnisse sprechen, dann haben wir einen gewaltigen Berg abgearbeitet, und ich blicke in freudig entspannte Gesichter. 

Ja, das hat sich auf jeden Fall gelohnt. 

Sven Precht

In die Stille gehen

Zen ist Praxis. 

In der Praxis tue ich etwas. 

Mein Tun besteht darin, dass ich still halte und nichts tue. 

Ich lasse geschehen. 

Und bleibe wachsam, verbindlich, fokussiert. 

Mein Fokus liegt auf dem jetzigen Augenblick. 

Die Erfahrung des jetzigen Augenblicks. 

Und was darin beschlossen liegt. 

Frage: Wer erfährt gerade diesen Augenblick? 

Wer ist es, der oder die hier auf einer Matte sitzt? 

Diese Frage führt mich direkt ins Zentrum meiner Praxis. 

Meine Praxis hat kein Ziel. Aber eine klare Ausrichtung.  

Ich praktiziere nicht ausschließlich für mich selbst. Im Gegenteil. 

Ich praktiziere immer auch für andere mit. 

Oder aber ich praktiziere ausdrücklich für andere Menschen und alle Lebewesen. 

Und erfahre das Glück, helfen und für andere dasein zu können. 

Zuhören. Mitfühlen. Verbinden. 

Ich kann eine unmittelbare Verbindung herstellen zwischen mir und den anderen Wesen. 

Damit verändere ich bereits diese Welt. 

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